Interview

Frau Babendererde, im vergangenen Herbst ist von Ihnen der Jugendroman “Isegrim” bei Arena erschienen. Wie der Titel bereits sagt, spielt ein Wolf die Hauptfigur in diesem Buch und nimmt eine zentrale Rolle in dem Thriller ein. Warum ist der Wolf der Haupt- und Angelpunkt Ihrer Geschichte?

In “Isegrim” dreht sich viel um Ängste, aber es geht auch um Rückkehr und Wegweiser in die Zukunft. Die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland verfolge ich seit dem Jahr 2000, vor allem eben auch die Begleiterscheinungen: Die tiefsitzenden Ängste der Menschen vor einem Raubtier, das schon so lange nicht mehr zu ihrem Leben gehört, jedoch immer noch verteufelt wird. Ich habe den Roman in meiner Heimat Thüringen angesiedelt, im fiktiven Dorf Altenwinkel. Auch dort kehrt längst Totgeglaubtes und Vergessenes zurück – in den Erinnerungen der Menschen. Ängste erwachen und werden auf zwei Fremde projiziert, den Neuankömmling Wolf und einen geheimnisvollen Jungen, der auch im Wald lebt. Aber beide sind nicht das, was sie scheinen.

Wie und wo haben Sie für Ihren Roman recherchiert?

Ich war in der Lausitz mit den dortigen Wolfsforschern und Biologen unterwegs auf den Spuren der Wölfe, habe Spuren lesen gelernt und Losung erkennen, und woran man einen Wolf von einem Schäferhund unterscheidet – auch, dass das manchmal gar nicht so leicht ist. Und natürlich, dass es keinen Grund gibt, sich vor Wölfen zu fürchten, auch nicht, wenn man ihnen allein im Wald begegnet.
Ich habe auch mit einem Schäfer dort gesprochen, der erklärt hat, wie Tierhalter sich wirksam schützen können.
Später hatte ich ein Gespräch mit Mike Jessat, dem Chef des Thüringer NABU, der mir geraten hat, statt meines ursprünglich geplanten Schauplatzes, doch den Ohrdrufer Truppenübungsplatz zu nehmen, denn der sei “Wolfserwartungsland”.
Da ich auch bei “Isegrim” ein Gefühl für die Gegend bekommen wollte, die Gegend jedoch Sperrgebiet ist, habe ich mich an das zuständige Forstamt und die Bundeswehr gewandt. Es war zunächst nicht ganz einfach, jemanden zu finden, doch schließlich waren eine sehr nette Revierförsterin und der damalige Kommandant des Truppenübungsplatzes bereit, mir den Schauplatz meines Romans zu zeigen.
Da ich viel über die dortige Flora und Fauna wissen wollte, habe ich mich auch an den NABU Ilmkreis gewandt. Dort wurde mir Herr Böttner empfohlen, der sich als wahrer Kenner der Gegend erwies, sehr viel über seltene Pflanzen und Tiere, und noch dazu eine Menge über Wölfe wusste. Herr Böttner hat mich herumgeführt und geduldig all meine, oftmals detaillierten Fragen beantwortet. Mit diesem lebendigen Eindruck der Landschaft und der dort ansässigen Wildtiere, habe ich mich an “Isegrim” gesetzt.

Seit Donnerstag, 15. 05. ist es nun offiziell: Der Wolf ist auch nach Thüringen zurückgekehrt und das Bemerkenswerte dabei: Er ist genau dort auf dem Truppenübungsplatz in Ohrdruf aufgetaucht, wo Ihr aktuelles Jugendbuch “Isegrim“spielt. Wie fühlt sich das für Sie an?

Als Herr Böttner mich vor ein paar Tagen anrief, um mir von seiner Wolfssichtung zu erzählen, war ich völlig aus dem Häuschen. Ich wusste, dass Herr Böttner ein sehr guter Wolfskenner ist und auch in der Lausitz schon Wölfe gesehen hatte. Er würde wissen, wenn er einen waschechten Wolf vor sich stehen hat. Und da er am Rande des Truppenübungsplatzes war, um Orchideen zu fotografieren, hatte er auch die Kamera im Anschlag, sodass einzigartige Fotos entstanden sind.
Ich habe mich natürlich riesig gefreut. Acht Monate nach Erscheinen von “Isegrim” ist er tatsächlich da, der Wolf. Vielleicht wird es jetzt in den umliegenden Ortschaften Wolfsinformationsabende in den Dorfkneipen geben, wie in meinem erdachten Dorf Altenwinkel. Ich hoffe natürlich, dass die Schäfer ihre Tiere schützen und es somit erst gar keinen Ärger gibt. Schön wäre es, wenn es schon bald ein kleines Rudel auf dem Übungsplatz geben würde. Die Bedingungen dafür sind hervorragend, es gibt genügend Wild.
Was soll ich sagen, es ist ein tolles Gefühl. Eine Kollegin schrieb auf Facebook dazu: “…manchmal ist Dichtung eben doch visionär.”
Aber vielleicht können Wölfe ja auch lesen …. Auf jeden Fall bleibt es spannend.

Abschließende Frage: Sie sind derzeit wieder auf Lesereise. Wählen Sie nun Ihre Passagen anders aus, sodass eine Lesung aus “Isegrim” vielleicht mit dazu beitragen kann, für mehr Verständnis für den Wolf beim Menschen zu werben und die Ängste und Vorbehalte abzubauen?

Während meiner Lesungen erzähle ich natürlich auch viel über Wölfe. Dass ihre Rückkehr ein Geschenk ist und Zeichen einer gesunden Natur. Dass ihre Rückkehr ein Wegweiser in die Zukunft sein kann und uralte Ängste gegenüber Wölfen nicht mehr zeitgemäß sind. Ich versuche, Vorurteile zu entkräften und den Jugendlichen eine offene Haltung zu vermitteln.
Oftmals lese ich ja auch vor Erwachsenen aus “Isegrim”, und behalte mir den Wolfsinformationsabend in der Kneipe als letzte Lesepassage vor. Obwohl die im Roman von den Dorfbewohnern geäußerten Fragen und Zweifel zu ihrem neuen Nachbarn, dem Wolf, mit Sicherheit auch meine Zuhörer umtreiben, wird die Passage meist von herzlichem Gelächter begleitet. Das lässt mich dann hoffnungsfroh nach Hause fahren, denn es zeigt, dass wir inzwischen doch anders über den Wolf denken als unsere Vorfahren.